Margareta Breuer von 1971 – 1993 Dozentin an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn
- The Life and Thought of Louis Lowy – Social Work Through the Holocaust
Von Lorrie Greenhouse Gradella. Mit einem Vorwort von Loachim Wieler. Syracuse University Press, 2011. 213 Seiten, 24,95 $, ISBN 978-0-8156-0965-0 - Zwanzig Jahre nach Louis Lowys Tod erschien 2011 seine Biographie. Mit ihr wird nicht nur das außergewöhnliche Leben und Denken und sein Überleben des Holocaust gewürdigt, sondern auch seine Bedeutung für die Entwicklung der Sozialarbeit in den USA und Europa nach dem zweiten Weltkrieg hervorgehoben.
In der Biographie würdigt Lorrie Greenhouse Gardella in präziser, klarer Sprache Louis Lowy als großen Humanisten, hervorragenden Lehrer, Sozialarbeiter, Sozialpolitiker und Wissenschaftler.
Sie zeichnet seine Lebensstationen – München, London, Prag – auf und schildert ihn als Sohn, Ehemann und Vater in seiner Liebe zu Frau und Kindern und als Freund.
Es ist ihr großes Anliegen, L. Lowy und andere Holocaust-Überlebende für sich sprechen zu lassen, und sie führte dazu Interviews mit seinen Freunden aus der KZ-Zeit. Durch umfangreiche Gespräche mit seiner Frau Ditta und durch die Auswertung seines Nachlasses kann sie sein Leben, auch das seiner Familie, darlegen. Mit Empathie beachtet sie Lowys Rückschau auf die, jedes Vorstellungsvermögen übersteigenden, schrecklichen Holocaust Erfahrungen, über die er in narrativen Interviews erst 1990/91 sprechen konnte. Sehr bewegend ist die Schilderung über seine Einlieferung in das KZ Theresienstadt und die belastende Situation für seine nicht jüdisch stämmige Mutter, die „freiwillig“ ihren Mann und Sohn begleitete und dort 1942 verstarb. In dem „Vorzeige KZ“ Theresienstadt von den Nazis zynischerweise, „Unsere Stadt für die Juden“ genannt, konnte sich Lowy mit großem, meist sehr gefährlichem Einsatz, als Pädagoge betätigen, indem er heimlich Kinder und Jugendgruppen leitete. Diese Arbeit bezeichnet er später als seine ersten Groupworkererfahrungen. Sie dienten ihm unter anderem als Grundlage für die Weiterentwicklung von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit.
Die Begegnung mit der jungen Wienerin Ditta Jedlinski, mit der er sich in Theresienstadt verlobt, hebt L. G. Gardella besonders hervor. Sie beschreibt die Zeit der Trennung 1944 als beide nach Ausschwitz zur Vernichtung überführt werden, als absolute Grenzerfahrung menschlicher Existenz, ebenso wie die, an ein Wunder grenzende Wiederbegegnung Anfang 1945.
Während Lowys Vater den Holocaust nicht überlebte, gelang ihm und einigen anderen Gefangenen die Flucht während des Todesmarsches aus dem KZ Ausschwitz im Jahre 1945.
Die Autorin zeigt auf, dass Lowys aktives Durchhalten, sein Glaube an die Stärke und Würde jedes Menschen, zum Vorbild für alle Menschen, die ihm begegneten, wurde. Das bestätigten viele Überlebenden, besonders seine Schüler aus Theresienstadt mit denen er bis zu seinem Tode in Verbindung stand.
Über die Zeit von 1964 – 1984 berichtet die Autorin ausführlich und hebt seine Funktionen als „Brückenbauer“ in Lehre, Forschung und Projektbegleitung hervor. Die folgenden Beispiele stellen nur eine geringe Auswahl seiner Tätigkeiten dar:
- In Deutschland begann L. Lowy mit berufsbegleitenden Kursen in Social-Groupwork für Dozenten an Ausbildungsstätten für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Dabei war es ihm wichtig, das Wissen der deutschsprachigen Emigranten der dreißiger Jahre aufzuzeigen und seine Weiterentwicklung durch die wissenschaftlichen Arbeiten (zum Beispiel von Kurt Lewin) zur Dynamik in Gruppen und zum Konflikt zu vermitteln.
- Mit Kursen in Gemeinwesen- und Netzwerkarbeit, Case Management und später in Gerontologie erweiterte er diese Tätigkeit.
- Er entwickelte ein spezielles Modell von Supervision und führte die ersten Supervisionsausbildungen in Deutschland durch.
- Besonders hervorzuheben ist sein Einsatz für die Verbreitung systemtheoretischer und ökologischer Konzepte als brauchbares Paradigma für die wissenschaftliche Reflektion der Sozialen Arbeit, schon in den siebziger Jahren, als systemtheoretische Ansätze in der deutschsprachigen Sozialarbeit noch nicht für die Praxis herangezogen wurden.
- Bis kurz vor seinem Tod lehrte und forschte L. Lowy an zahlreichen europäischen Universitäten zum Beispiel in Bochum, Berlin, Oslo, Wien, Zürich und an Fachhochschulen in Deutschland sowie in Lille, Gent, Athen, Luzern und St. Gallen.
Im Zusammenhang mit der Würdigung seiner vielseitigen und umfangreichen Tätigkeiten weist die Autorin immer wieder auf seine Integrität, seinen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung hin. Sie hebt hervor, dass seine Versöhnungsbereitschaft, seine überragende Fähigkeit, Lehre und Glaubwürdigkeit des Lebens zu verbinden von allen Beteiligten wahrgenommen wurde, ebenso wie die Erfahrung seiner Studierenden, dass jeder persönlich gemeint, angesprochen und gefördert war.
Zum Schluss: Die Autorin begreift Ihre Arbeit auch als Beitrag gegen das Vergessen des Holocaust und als Anregung, die Geschichte der Sozialarbeit für die Mitgestaltung der Zukunft anzuerkennen. In diesem Sinne und mit großem Dank empfehle ich das Buch einer breiten Leserschaft.
Anhang:
Nach L. Lowy sind in Deutschland benannt:
- Das Louis Lowy-Institut – Forschungsinstitut für >Beratung und Supervision in Herzogenrath und
- Der Louis Lowy-Preis, der von der Gesellschaft für Social Groupwork, Aachen, vergeben wird.
Literaturauswahl von Louis Lowy:
- Louis Lowy, Louis (1988, 1983): Sozialarbeit, Sozialpädagogik als Wissenschaft im angloamerikanischen und deutschsprachigen Raum: Stand und Entwicklung. Lambertus: Freiburg
- Lowy, Louis (1990, 1981) Soziale Arbeit mit älteren Menschen. Ein Lehrbuch. Lambertus: Freiburg
- Lowy, Louis (1973): Die Funktion der Sozialarbeit im Wandel der Gesellschaft: ein Praxis-Kontinuum. Lambertus: Freiburg
- Bernstein, Saul/ Lowy, Louis (1987[1]): Neue Untersuchungen zur Sozialen Gruppenarbeit. Lambertus: Freiburg
Hinweis auf Institute, Literatur und Gebrauch dieser Literatur in der sozialen Gruppenarbeit (ca. 6-7 Zeilen)
[1] Es gibt heute kaum eine deutsche Abhandlung über soziale Gruppenarbeit, in der nicht Bezug genommen wird auf die Forschungen des Teams von Gruppenleiterinnen und Gruppenarbeitern der Boston School of Social Work, zu denen Louis Lowy gehörte. Das maßgeblich von ihm entwickelte Modell der sozialen Gruppenarbeit besaß im Unterschied zu den mehr therapeutisch-orientierten ein stärker sozialpsychologisches und pädagogisches – heute würden wir sagen systemisches – Paradigma. Dieses Entwicklungsmodell (Developmental Model) der Sozialen Gruppenarbeit wurde in der Bundesrepublik zum anerkanntesten Modell in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Das ist auch der Grund dafür, dass die Gesellschaft für Social Groupwork zur Erinnerung an Louis Lowy diesen Preis gestiftet hat, mit dem besonders hervorragende Projekte und Arbeiten in Sozialer Gruppenarbeit ausgezeichnet werden sollen.
Kroll; in: Louis Lowy. Gedanken zu Leben und Werk.